In der Mai-Ausgabe der Zeitschrift "Eltern" gab es einen Artikel zu diesem neuen Bluttest, der eine Trisomie 21 schon frühzeitig in der Schwangerschaft erkennen kann.
Ich bin immer hin und her gerissen, ob ich solche Artikel überhaupt lese, denn nicht selten wirken sie noch lange nach, beschäftigen mich, rauben mir meine Gedanken, und oft ziehen sie mich emotional auch einfach herunter. Immer wieder vor Augen gehalten zu bekommen, dass es in dieser Gesellschaft so einfach und unreflektiert möglich ist, einem Kind mit Down-Syndrom das Lebensrecht abzusprechen tut mir unendlich weh.
"Einfach und unreflektiert" bezieht sich auch auf die Art und Weise, wie die Berichterstattung erfolgt, oder wie diskutiert wird, welche haltlosen Argumente herangezogen werden. Jeder hat dazu eine Meinung, denn jeder hat eine Vorstellung von "Behinderung" und somit natürlich auch vom Down-Syndrom. Aber wieviele Menschen kennen denn wirklich eine Person mit DS? Und wenn man eine Person kennt, kann man auf alle anderen Rückschlüsse ziehen? So wie jeder Mensch einzigartig ist, so ist auch Malin überhaupt nicht wie alle anderen Down-Kinder, sie ist einfach Malin - unvergleichbar... naja, wir kennen welche, die sind genauso blond, genauso süß und genauso liebenswert... ;-)
Aber zurück zu dem Artikel in "Eltern": er war dann doch recht ausgewogen und sogar kritisch. Die Verfasserin hat es vermieden zu bewerten und dies anderen überlassen. Die "Experten", die dabei zu Wort kamen, sehen das neue medizinische Verfahren durchaus nicht nur in rosigem Licht, die Problematik wurde gut beleuchtet.
Gestolpert bin ich aber über die Aussagen der Mutter, die sich bei ihrem Kind mit Trisomie 21 für einen Abbruch entschieden hat. Ich verurteile diese Mutter nicht, denn ich weiß nichts über ihre Geschichte und über ihren Hintergrund. Es ist auch gut möglich, dass ihre Worte journalistisch verfälscht wiedergegeben wurden. Trotzdem möchte ich die Aussagen, mit denen sie ihre Entscheidung in diesem Artikel begründet, kommentieren, sie schreibt:
`Verdacht auf Down-Syndrom´ - die Worte des Arztes gingen mir damals durch Mark und Bein. Trotzdem war für meinen Mann und mich zunächst klar: `wir kriegen das Baby´. Behinderte Kinder sind eine Bereicherung - das sagt sich so. Aber dann googelt man. Spricht mit Freunden, die behinderte Geschwister haben. Malt sich aus, was auf die eigene Tochter, ... drei damals, zukommen würde.
Es gibt Gründe, eine Schwangerschaft mit einem Down-Kind zu beenden, die ich nachvollziehen kann, genauso wie es Gründe gibt, sich gegen ein "normales" Kind zu entscheiden. Niemand ist in er Lage sich ein Urteil bilden zu können über jemanden, der eine solche Entscheidung trifft, denn das hieße genau Bescheid zu wissen - wer könnte sich das anmaßen? Aber wenn dieser Schritt erklärt und begründet wird, so kann man diese Begründungen und Erklärungen in Frage stellen. Und ich störe mich sehr an dieser wertenden Aussage `Behinderte Kinder sind eine Bereicherung - das sagt sich so´. Ja klar, das sagt sich so. Aber lassen wir das `Behinderte´ mal weg: was bleibt sind Kinder, die nicht weniger anstrengend sein können - gibt es ein Maß dafür, in wie weit, oder ab wann ein Kind eine Bereicherung darstellt? - Für wen? Und wer bestimmt dies, wenn es denn so wäre?
Außerdem geht es bei diesem Test, und somit auch in dem Artikel, eigentlich nur um das Down-Syndrom und nicht um "behinderte" Kinder im allgemeinen. Das ist wichtig, denn es gibt Diagnosen, die stellen das Down-Syndrom bei weitem in den Schatten. Diese "Behinderungen" schön zu reden, hieße, den betroffenen Familien nicht gerecht zu werden. In der Regel aber ist das Down-Syndrom eine solche "Behinderung" nicht. Also bitte - große Welt da draußen - wer sich ein Bild über das Down-Syndrom machen möchte, der schaue auch nach beim Down-Syndrom und nicht bei "Behinderungen" aller Art - und das gilt auch, wenn man Geschwister "behinderter" Menschen befragt!
Ich gebe zu, dass der Gedanke an Malins älteren Bruder, nach der Geburt seiner Schwester, da war er 2 3/4 Jahre alt, auch für mich mit den größten Sorgen und Ängsten verbunden war.
Die Frage, was auf ihn zukommen würde, nahm mir schier die Luft zum Atmen und schmerzte unendlich.
Aber schon eine Kinderärztin in der Geburtsklinik versicherte mir, dass Malin ihrem Bruder viel zu geben hat, wenn es vielleicht auch Zeiten geben mag, in denen ihm viel abverlangt werden wird. Aus heutiger Sicht kann ich das nur bestätigen, und "abverlangt" wurde ihm bisher nicht mehr als unter Geschwistern üblich - ob sich das noch ändern wird? Ich sehe das sehr entspannt!
Inzwischen kenne ich auch so viele Schilderungen der Wertschätzung von Downies durch ihre Geschwister ... kann man die einfach übergehen? Oder in Frage stellen?
Ich las einmal von einem Highschool-Absolventen in den USA, der seine Abschlussarbeit über seine Schwester mit Down-Syndrom verfasste. Er wurde ausgewählt, seine Arbeit bei der Abschlussfeier vor Publikum vorzutragen. Sie endete in etwa mit den Worten "ich wünsche einem jedem Menschen auf dieser Welt, von einem anderen Menschen so geliebt zu werden, wie meine Schwester mich liebt." Es gab standing ovations - klar, sehr amerikanisch, aber diese Aussage trifft doch sehr den Kern, wie ich finde.
Abschließend sei mir noch eine Frage erlaubt:
Welche Signalwirkung hat es - oder aber auch: mit welcher Bürde belaste ich mein Kind, wenn ich es als Grund heranziehe, mich gegen das Leben eines anderen Kindes zu entscheiden?
Aber die Fragen des Lebens sind nie einfach zu beantworten, so wie es sicher ist, dass jeder mit der Entscheidung, die er für sich fällt, am Ende weiterleben muss. Jede Entscheidung hinterlässt Spuren.
Je älter Malin wird, desto sicherer weiß ich, dass wir es richtig gemacht haben.